„Hachinger Hamlet“

Eine Reportage in sechs Akten über Unterhachings gescheiterten Stadionkauf, drohende Deadlines – und eine Gemeinde, die langsam genug hat

Von jemandem, der sich den Sportpark nicht leisten kann.


Prolog: Der Deal, der nie kam

Im Theater nennt man es eine Tragödie mit Ansage. In Unterhaching nennt man es einfach: „unfertig“. Es war alles angerichtet – der Verein wollte das Stadion kaufen, die Gemeinde wollte es loswerden. Was wie ein Musterbeispiel für kommunale Entlastung und sportliche Eigenverantwortung hätte werden können, endete in Unentschlossenheit, Verschiebungen und einem geplatzten Notartermin.

Die SpVgg Unterhaching, einst Bundesliga-Club, dann ewiger Drittligist, jetzt wieder in der Regionalliga Bayern, hatte große Pläne. Und keine Lösung für die einfachste Frage: Wer zoid?

Exkurs: Was kostet eigentlich ein Stadion? Eine Annäherung in Zahlen

Zwar nennt die Gemeinde Unterhaching keine exakten Summen, doch die jährlich kolportierten 750.000 Euro Betriebskosten für den Sportpark sind alles andere als aus der Luft gegriffen. Vergleichbare Dritt- und Regionalligastadien wie die Voith-Arena in Heidenheim (der FCH spielt zwar in der Bundesliga, aber das Stadion hat sich nicht mitentwickelt) oder das Stadion an der Grünwalder Straße in München liegen mit ihren Unterhaltskosten in einem ähnlichen Rahmen – teils sogar deutlich darüber. Rechnet man laufende Betriebskosten (Strom, Wasser, Pflege, Reinigung) von rund 300.000 bis 500.000 Euro, dazu Instandhaltungsrücklagen und Sanierungsbedarf (100.000 bis 250.000 Euro) sowie Versicherungen, Verwaltung und Steuern (weitere ca. 100.000 Euro), ergibt sich eine realistische Gesamtsumme zwischen 500.000 und 800.000 Euro pro Jahr. In Jahren größerer Investitionen – etwa bei Dachreparaturen oder Heizungsmodernisierungen – kann diese Summe auch schnell sechsstellig in den siebenstelligen Bereich rutschen. Kurzum: Der „finanzielle Klotz am Bein“, von dem die Gemeinde spricht, ist leider kein rhetorisches Bild, sondern ziemlich exakt bilanziert.


Akt 1: Wie alles begann – mit einem Stadion, das zum Sanierungsfall wurde

Der Sportpark war einmal ein Vorzeigeprojekt. Baujahr 1992, damals modern, heute: nennen wir’s urig. Das Fundament der Gegengerade ächzt leise bei jedem Heimspiel, als wollte es sagen: „Verkauft mich doch endlich.“

Seit Jahrzehnten muss das Rathaus als Rettungsschirm und Reparaturdienst für den Sportpark herhalten. Betriebskosten, Versicherungen, Sanierungsstau – die jährliche Belastung liegt bei schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Euro, konservativ gerechnet. Was früher nach lokalpatriotischer Pflicht klang, ist heute eine lästige Haushaltslast, gerade in Zeiten, in denen kommunale Budgets eher schrumpfen als wachsen.

Die Gemeinde Unterhaching, Eigentümerin des Stadions, hatte 2021 genug. Neben dem jährlichen Unterhalt, kommt ein wachsender Sanierungsstau dazu – die Flutlichtmasten wackeln mehr als unser Keeper bei Flanken in den Sechzehner. Die Lösung: Der Verein soll kaufen.

Doch der will nicht sofort. Zuerst wird gefeilscht, dann geschätzt. Das erste Gutachten beziffert den Wert auf 3,3 Millionen Euro. Dann kommt das zweite: 7,56 Millionen Euro netto. Das ist ein Unterschied wie zwischen Champions-League und Toto-Pokal. (Natürlich war beim ersten Gutachten nur vom Stadion und nicht den umliegenden Plätzen die Rede.)

Für die Gemeinde ist klar: Der Marktwert ist nun einmal der Marktwert. Aus Sicht des Rathauses will man sich nicht länger mit den Reparaturwünschen eines Vereins herumschlagen, der einerseits Eigenverantwortung einfordert und andererseits beim Thema Baurecht stets aufs Rathaus zeigt.


Akt 2: Ein Präsident, ein Plan und sehr viele Eventualitäten

Manni Schwabl ist vielleicht kein Träumer – aber er ist ein Mann mit extremen Visionen. Ein Stadionkauf sei kein Risiko, sondern eine Chance. Die SpVgg will Eigentümerin werden, Vermieterin, Saniererin, Eventausrichterin. Es soll das Zentrum für regionalen Spitzensport werden – und zugleich ein kleines Gewerbezentrum.

Denn: Um das Stadion zu kaufen, braucht der Verein Geld. Viel Geld. Die Antwort: Ein Ärztehaus auf dem Vereinsgelände. Private Investoren, langfristige Mieten, stabile Einnahmen. Die Hoffnung: Die Finanzierung des Stadionkaufs kann über Drittmittel laufen – ohne dass der Verein selbst zu tief in die Tasche greifen muss.

Doch: Bis heute ist kein Investor öffentlich benannt, keine Baugenehmigung vorgelegt, kein Spatenstich gemacht. Der Baubeginn ist unklar, und auch in der Hauptversammlung im Juni blieb man vage. Die Suche nach dem weißen Ritter geht weiter.


Akt 3: Die Ravens kommen – und mit ihnen der Zoff

Raben haben in Unterhaching große Tradition, ob in der Grafstraße, dem Gewerbegebiet oder dem Friedhof, inzwischen treiben die Vögel auch auf dem Spielfeld des Sportparks ihr Unwesen. Als die Munich Ravens, ein American-Football-Franchise, 2023 in den Sportpark ziehen, jubeln zunächst alle. Neue Zuschauer, neue Mieter, neue Einnahmen. Doch dann platzt der Konflikt wie ein Blitzspiel in der Endzone: Die Gemeinde erfährt aus der Zeitung von der langfristigen Untervermietung – und fühlt sich übergangen.

Denn: Die SpVgg ist nur Pächterin, keine Eigentümerin. Und laut Mietvertrag muss jede dauerhafte Untervermietung durch die Gemeinde genehmigt werden. Das war nicht geschehen.

Es folgt ein kurzes, aber intensives juristisches Intermezzo: Vertragsbruch steht im Raum, der Gemeindeausschuss droht mit Kündigung. Die SpVgg rudert zurück, es wird ein neuer Vertrag aufgesetzt, diesmal mit korrekter Genehmigung. Doch das Vertrauen ist angekratzt.

Die Angst: Wenn der Verein schon als Pächter Absprachen ignoriert – was passiert erst, wenn er Eigentümer ist?


Akt 4: mia san Kooperationspartner

Ein großer Bruder kann vieles sein: ein Vorbild, ein Aufpasser, ein Beschützer – oder ein sehr geduldiger Kreditgeber. Für die SpVgg Unterhaching ist der FC Bayern mittlerweile so etwas wie der goldene Wurfanker im brausenden Defizit-Meer.

375.000 Euro jährlich zahlt der Rekordmeister für die Kooperation, hinzu kommen millionenschwere Transfers von Talenten wie Krattenmacher oder Adu – die Bayern griffen beherzt zu und warfen fünf Millionen in den Hachinger Klingelbeutel. Auch der Transfer von Aaron Keller zu Greuther Fürth wurde als „Wendepunkt“ gefeiert, brachte er doch nochmal rund 700.000 Euro. Man muss mittlerweile in Unterhaching jeden Euro mit Applaus verabschieden.

Doch das Verhältnis zum großen Nachbarn ist nicht frei von Ironie. In der Ära der Jahrtausendwende, wo man einst mit ein paar Jahren Bundesliga-Luft selbst fast zur großen Bühne gehörte, ist man heute zum Farmteam des Branchenriesen geworden. Wenn das Bayern-Frauenteam demnächst seine Champions-League-Heimspiele im Sportpark austrägt, wäre das für Haching finanziell ein Segen – aber eben auch ein weiteres Kapitel in der Abhängigkeit.

Akt 4: der Kassensturz

Apropos Finanzen:

Die nackten Zahlen erzählen eine Geschichte, die spannender ist als so mancher Pokalfight im Sportpark: Die Spielvereinigung Unterhaching Fußball GmbH & Co. KGaA ist bilanziell ausgebrannt: Null Eigenkapital, ein Geschäftsmodell auf Pump. Und während die Verbindlichkeiten der Spielvereinigung früher noch mittelschwer wirkten, laufen sie heute wie ein Heavyweight-Boxer ein – fast 18 Millionen Euro schwer. Der Aktienkurs? Von einst 8,10 Euro auf unter einen Euro geschrumpft – da träumt selbst die Lufthansa-Aktie aus Pandemiezeiten von solchen Sturzflügen. Und während Schwabl von Rückkehr in die 3. Liga träumt, wirkt der Blick in die Bilanz eher wie ein Weckruf: Wer so hoch hinaus will, sollte zuerst klären, wer eigentlich noch das Netz am Trapez hält.

In der Mitgliederhauptversammlung des e.V. fehlen entscheidende Finanzzahlen, der Jahresabschluss liegt nicht vor, trotzdem wird entlastet.

Das klingt: nach blindem Vertrauen. Oder nach Müdigkeit. Immerhin gab es tosenden Applaus nach der Verkündigung des Jubiläumsbieres.

Akt 5: Die Uhr tickt – und keiner rennt

Bis 30. Juni 2025 hatte die SpVgg Zeit, das Stadion zu kaufen. Danach könnte ein externer Investor zuschlagen, oder ein Immobilienfonds mit Faible für American Football. Bis dahin bleibt das Stadion weiter Eigentum der Gemeinde, der Rasen unliniert, der Ton frostig – und der Kauf ein frommer Wunsch mit ungewissem Ausgang.

Die SpVgg aber zeigt sich unbeeindruckt. Manni gibt sich gewohnt optimistisch und kämpferisch.

Für die Gemeinde ist klar: Es kann nicht sein, dass ein Verein in einem 7,5-Millionen-Euro-Prozess so wenig Transparenz zeigt. Auch, weil der Deal politisch heikel ist: Verkauf einer kommunalen Immobilie an einen Verein mit nichtöffentlichen Geldgebern und defizitärer Bilanz?

Man will helfen – aber nicht mehr um jeden Preis.


Akt 6: Finale offen – oder wie man sich selbst im Weg steht

Die SpVgg Unterhaching hätte Geschichte schreiben können. Als Verein, der Verantwortung übernimmt, der ein Stadion selbst bewirtschaftet, es modernisiert, belebt, öffnet. Und ja, man hat Pläne. Aber Pläne ohne Fundament sind Schall und Rauch.

Die Gemeinde wiederum steht zwischen zwei Fronten: dem politischen Wunsch, das Stadion loszuwerden, und der Pflicht, dabei sauber, rechtssicher und nachhaltig zu handeln. Die Geduld schwindet. Zu viele leere Versprechungen, zu wenig Substanz.

Was bleibt, ist ein Patt.

  • Ein Verein, der kaufen will, aber (noch) nicht kann.
  • Eine Gemeinde, die verkaufen will, aber nicht ins Risiko geht.
  • Ein Stadion, das weiter zerfällt.
  • Und Fans, die mehr verdient hätten als ein Dauerprovisorium.

Epilog: Applaus gibt’s später – wenn überhaupt

Ob die SpVgg das Stadion am Ende kauft? Offen.
Ob sie es stemmen kann? Fraglich.
Ob sie es verdient hätte? Eine andere Frage.

Fürs Erste bleibt der Sportpark das, was er derzeit am besten kann: Kulisse für Fußball mit Herz, aber ohne Plan. Tragikomödie eben. In mehreren Akten. Fortsetzung folgt.