Servus mitanand,
die Titanic neigte sich unaufhaltsam gen Meer, doch auf dem kalten Deck spielte die Kapelle weiter. Zwischen schreienden Passagieren und rutschenden Stühlen zog der Violinist den Bogen über die Saiten – ruhig, sanft, als könnte die Melodie das Chaos besänftigen. Unter ihnen ächzte das sterbende Schiff, Wasser umspülte ihre Füße. Doch die Musik verstummte nicht – sie erklang, bis das Meer sich über ihnen schloss.
Diese Szene auf dem sinkenden Ozeanriesen ist mehr als nur ein historisches Bild – sie steht sinnbildlich für Situationen, in denen Menschen weitermachen, obwohl das Schicksal längst besiegelt ist. Und genau dieses Bild drängt sich auf, wenn man derzeit auf die Spielvereinigung Unterhaching blickt. Ein Verein, der unter Kapellmeister Manfred Schwabl wieder zurück an die Oberfläche des Profifußballs kehrte, nun aber mit ruhiger Miene weiterkicken muss, während ringsum das Wasser zu steigen scheint.
Anlass genug, um bereits heute eine Bilanz zu ziehen – um den Boden der Tatsachen zu finden. Ein professioneller deutscher Fußballverein muss sich nämlich an verschiedenen Kriterien messen lassen, die sowohl sportliche als auch wirtschaftliche und organisatorische Aspekte umfassen. Doch beginnen wir beim Offensichtlichen: dem Geschehen auf grünem Untergrund.
Der Eisberg dritte Liga
An der deutschen Nationalmannschaft ist es aktuell offensichtlich zu erkennen: Ist ein Aufwärtstrend oder sportlicher Erfolg sichtbar, verstummen kritische Stimmen (auch durch mediale Einflussnahme) schnell. Läuft es hingegen sportlich schlechter, drückt der Schuh überall, und die oft zitierten Steine sollen alle umgedreht werden. In dieser Realität befindet sich die Spielvereinigung Unterhaching – und besonders die Konkurrenzfähigkeit in der dritten Liga steht im Mittelpunkt der Debatten.
Das Positive vorweg: Der Toto-Pokal wird ernst genommen. Das hat aus Fansicht natürlich nicht nur den finanziellen Vorteil einer möglichen DFB-Pokal-Teilnahme, sondern zudem den eines der Saisonhighlights zu Saisonbeginn. Hier wird von Schwabl bereits kommuniziert, ein „Illertissen 2.0“ verhindern zu wollen – und das Pokalfinale gegen den Kultklub vor den Toren des Allgäus ist nun wohl das mit Abstand wichtigste Spiel der Saison.
Im Ligabetrieb sieht es bekanntlich anders aus. Mit einem Punkteschnitt von 0,71 steht der Kurs gerade auf eine vereinsinterne historisch schlechte Punktausbeute. Viele werden sich an die letzte Abstiegssaison unter Arie van Lent erinnert fühlen – denn auch damals gab einem die Mannschaft häufig das Gefühl, dass noch etwas gehen könnte, und dennoch war die Spielvereinigung am Ende das Tabellenschlusslicht. Ein gutes Beispiel dieses letzten Rettungsankers ist die jüngste Partie gegen Viktoria Köln: eine frühe Führung, ein scheinbar selbstbewusster Auftritt – und dann bricht die Mannschaft nach den ersten Widerständen zusammen. Nur wenige Lichtblicke lassen das letzte Fünkchen Hoffnung auf einen Sieg am Leben.
Die sportliche Leistung, an der sich Vereinsführung, Trainer und Spieler messen lassen müssen, hängt natürlich an mehreren Faktoren. Neben der Ligaplatzierung und dem Abschneiden im Pokal – deren Diskussion obsolet ist – zählen auch die Zusammenstellung eines leistungsfähigen Kaders, die Kompetenz und Kontinuität des Trainerstabs sowie eine erfolgreiche Jugendförderung zu den mit einzubeziehenden Kriterien.
Eine weitere Parallele zum Arie-Abstieg ist der zurückliegende Kaderumbruch im Sommer, der retrospektiv einen Hauptgrund für mangelnde Konkurrenzfähigkeit darstellt. Ein solcher Austausch fällt – egal ob Absteiger oder Aufsteiger – immer schwer: eine Lotterie, die von einer schnellen Akklimatisierung der Neuzugänge abhängig ist. Ich muss gestehen, anfänglich nicht pessimistisch gewesen zu sein, was den Kader betrifft, und verstehe auch noch heute, was sich der spielende Sportdirektor bei den Verpflichtungen gedacht hat. Zudem habe ich die Probleme unserer diesjährigen Spielanlage in einem vergangenen Artikel bereits zu Genüge dargestellt.
Trotzdem muss ich hier nochmal einige Schlüsselpositionen herausstellen, die in Sandro Wagners System – das von Unterberger im ersten Drittliga-Jahr nur minimal verändert wurde und schon zu Wagners Zeiten perfekt auf die zur Verfügung stehenden Spieler zugeschnitten war – eine wichtige Rolle spielten und mit heutigem Wissen in dieser Saison als „nicht adäquat ersetzt“ bezeichnet werden dürfen.
Auf der Position des Torwarts ist man kalkuliert ein Risiko eingegangen, und allen war bereits zuvor bewusst, dass Heides fehlende Erfahrung auch zu Gegentoren führen wird. Ich finde die Torhüterleistung – trotz einiger Patzer – nach wie vor im Rahmen, aber ein essenzieller Faktor des Torwartspiels fehlt uns im Gegensatz zu Vollaths Anlagen sehr: das Spiel mit dem Ball am Fuß. Die Ruhe am Ball, die gezielten Abschläge und die Tempoverschleppung im Spielaufbau ermöglichten es uns, in den vergangenen Jahren den Ballbesitz zu halten, Spiele zu beruhigen und bei langen Abschlägen durch den Gewinn zweiter Bälle in den wichtigen Zonen Gefahr zu erzeugen. Dieses fehlende Kernelement des Spielsystems stellt uns vor große Probleme und führt dazu, dass wir Angriffe immer in großer Hektik vorbereiten müssen. Und die Gegner wissen das – weshalb wir uns meist einer recht hohen Pressinglinie gegenübersehen.
Eng damit zusammen hängt die Position des Zielspielers, die in der Vergangenheit von Fetsch mit absoluter Dominanz in Luftzweikämpfen besetzt war. Hier wurde mit Luc Ihorst ein Spieler geholt, der vom Paket her sogar noch kompletter erscheint. Das Problem liegt vielmehr in seiner Verletzungsanfälligkeit. Eine Oberschenkelverletzung früh in der Saison führte zu einem mehrwöchigen Ausfall, und in vielen weiteren Partien wirkte es, als wäre der Stürmer einfach noch nicht bei 100 %. Weder Kügel noch Jastremski sind trotz ihrer Körpergröße klassische Wandspieler, weshalb sie dann oft unglücklich wirkten – und unser System in vielen Spielen dieser Saison seiner größten Stärken beraubt wurde.
Manni sprach das Thema bereits selbst am Rande eines Heimspiels am Magenta-Mikrofon an: Tempo. Bis zur Verpflichtung der beiden Leihspieler in der Wintertransferperiode gab es im Kader – vor allem offensiv – zu wenig Speed, was es den Gegnern bei unserer sehr tiefen Pressinglinie sehr einfach machte, auf Umschaltmomente zu reagieren. Schnelle, bewegliche Spieler können in engen Partien oft das Zünglein an der Waage sein. Adu und Mashigo fallen schon beinahe die gesamte Saison aus, ohne dass es ausreichend Informationen zu den Gründen vom Verein gibt. Leuthard fehlt es dann wahrscheinlich noch an der Erfahrung, diese Bürde alleine zu schultern – obwohl ich hoffe, dass er in den letzten Spielen die Chance bekommt, sich zu beweisen.
Auch auf der Trainerbank war Kontinuität Fehlanzeige. Ich verstehe natürlich nach wie vor, dass der Verein unbedingt an Unterberger festhalten wollte – doch die Reißleine wurde zu spät gezogen, weshalb der Aufprall nun umso härter ausfällt. Unterberger betonte immer wieder den Glauben an den Kader, doch eigene Ideen, die Stärken eben dessen besser zur Geltung zu bringen, suchte man vergebens. Lediglich in seinem letzten Spiel an der Seitenlinie in Cottbus gab es Veränderungen im Spielansatz – ohne Erfolg.
Heiko Herrlich musste dann die Rolle des Feuerwehrmanns bekleiden. Hier war das Gefühl – besonders nach dem Spiel in Ingolstadt – eigentlich optimistischer: mehr Ruhe am Ball, mehr Chancen – und am Ende doch 0 Punkte. Wie so oft. Dass Herrlichs Engagement ein jähes Ende nahm, ist bekannt – und es scheint tatsächlich an Differenzen bezüglich der Aufstellung im Toto-Pokal-Halbfinale gelegen zu haben.
Unter Bender gibt es nun neue Ansätze, die mir sehr gefallen. Zum Beispiel Geis, der in Ballbesitz abkippt und so einen pressingresistenteren 3-2er-Aufbau ermöglicht. Oder der unermüdliche Stiefler, der das Pressing so aggressiv auslöst, wie die linke Seite der Pissrinne auf der Süd. Es geht für mich in einem Spielsystem auch immer um Vereinsidentität – und da sehe ich die SPIELvereinigung einfach in einem, nun ja, spielerischen Ansatz.
Zu guter Letzt gehört natürlich auch die Jugendförderung zur Bewertung der sportlichen Leistung. Das Juwel in der Schatzkammer des Sonnenkönigs Manni steht aber nach wie vor sehr stabil da und man darf auf den Durchbruch des ein oder anderen Talents gespannt sein. Mit Mannschaften von der U10 bis zur U19 bietet Unterhaching eine breite Basis für die Entwicklung junger Fußballer und setzt dabei auf eine kontinuierliche interne Weiterbildung der Nachwuchstrainer, die eng mit dem Profibereich verzahnt ist, wie an der Besetzung des Trainerpostens durch Wagner, Unterberger und jüngst Matvienko deutlich wird. Die U19 spielt erneut in der A-Junioren-Bundesliga, der höchsten deutschen Spielklasse, und konnte sich dort bereits in der ersten Phase behaupten. Auch die U17 misst sich in der DFB-Nachwuchsliga mit den besten Teams des Landes. Die Nachwuchsarbeit wird durch eigene Fußball- und Torwartschulen sowie regelmäßige Sichtungsturniere ergänzt, was den Hachinger Weg der nachhaltigen Talentförderung unterstreicht. Zahlreiche ehemalige Jugendspieler haben in den vergangenen Jahren den Sprung in den Profifußball geschafft, was wiederum die hohe Qualität der Ausbildung belegt.
Der letzte Sonnenkönig: Manni Schwabl
Es war einmal im deutschen Fußball, da regierten Männer wie Rudi Assauer mit Zigarre und kernigen Sprüchen oder Uli Hoeneß mit Selbstgewissheit und einem untrüglichen Riecher für große Deals. Sie waren die Sonnenkönige ihrer Vereine, omnipräsent, meinungsstark und mitunter auch Alleinherrscher im eigenen Kosmos. Heute, in Zeiten von Investoren, Compliance-Abteilungen und Social-Media-Managern, gelten diese Typen als ausgestorben. Fast. Denn im Münchner Süden hält sich ein Exemplar dieser Spezies hartnäckig: Manfred „Manni“ Schwabl, der letzte Sonnenkönig von Unterhaching.
Während Assauer und Hoeneß einst mit Millionen jonglierten, kämpft Schwabl mit jedem Cent. Unter seiner Regentschaft wurde Unterhaching als zweiter deutscher Klub nach Dortmund an die Börse geführt – ein mutiger Schritt, der frisches Kapital versprach, aber auch neue Zwänge brachte. Die Realität: Die Lizenzierung durch DFB und DFL ist Jahr für Jahr ein Drahtseilakt, die Umsätze aus Ticketing, Merchandising und Sponsoring reichen nicht für eine schwarze Null, und die Bilanz schwankt zwischen Hoffnung und roten Zahlen. Investoreneinfluss? Schwabl hält eisern an der 50+1-Regel fest, bleibt Mehrheitsaktionär über seine Schwabl GmbH und wacht wie ein Monarch über die Geschicke des Vereins. Nachhaltigkeit sieht er in der Nachwuchsförderung – Talente wie Karim Adeyemi oder Maurice Krattenmacher wurden zu Geld gemacht, um das Überleben zu sichern. Doch der Spagat zwischen Ausbildungsklub und sportlichem Erfolg ist ein Drahtseilakt, der Schwabl immer wieder an den Rand der wirtschaftlichen Belastbarkeit bringt. Vielmehr setzt Schwabl neuerdings auf strategische Allianzen. Die frisch besiegelte Nachwuchskooperation mit dem FC Bayern sichert Unterhaching nicht nur sportliche Synergien, sondern auch handfeste finanzielle Unterstützung: Zehn Millionen Euro fließen in den kommenden drei Jahren in die Kasse – ein seltener Geldregen, der gezielt in Talentausbildung und Vereinsentwicklung investiert werden soll. Im Gegenzug erhält der Rekordmeister ein Vorgriffsrecht auf Hachinger Talente und kann Nachwuchsspieler leihweise Spielpraxis sammeln lassen.
Wo früher ganze Management-Teams arbeiteten, krempelt Schwabl selbst die Ärmel hoch. Er ist Präsident, Geschäftsführer, Investor, Stadionverhandler, Nachwuchsförderer und Krisenmanager in Personalunion. Die Infrastruktur – Stadion, Trainingsgelände, Nachwuchsleistungszentrum – ist solide, aber von Bundesliga-Standards weit entfernt. Digitalisierung und Innovation? Schwabl setzt auf Bodenständigkeit, der große Sprung ins digitale Zeitalter bleibt aus. Die Organisation wirkt oft familiär und pragmatisch, aber manchmal auch improvisiert – wie zuletzt, als das fehlende Sicherheitskonzept zur Spielabsage gegen Hansa Rostock führte und Schwabl sich öffentlich rechtfertigen musste.
So entsteht schnell der Eindruck eines autokratischen Systems. Und das ist kein Vorwurf an Schwabl – denn ohne ihn gäbe es die SpVgg in dieser Form nicht. Aber es ist ein Aufruf, das System, das einst gut funktionierte, auf die Zukunft hin zu hinterfragen.
Dazu zählt auch die mediale Kommunikation. Gerade in einer schwierigen Saison muss es möglich sein, mit offenen Karten zu spielen. Fans sind nicht dumm – und die Bindung zur Spielvereinigung ist bei den allermeisten durch Leidensfähigkeit geprägt. Also wäre es schön, bei Verletzungen, Transfers und Entscheidungen öfter mit Transparenz belohnt zu werden.
Anders als die Marketing-Maschinen der großen Klubs setzt Schwabl auf Nähe und Authentizität. Die Zuschauerzahlen spiegeln die Herausforderungen wider: Im Schnitt besuchen 6.066 Fans die Heimspiele im 15.053 Plätze fassenden Stadion am Sportpark, was einer Auslastung von rund 40 Prozent entspricht – respektabel für unsere Verhältnisse. Die besten Zahlen liefert natürlich das Derby gegen 1860 München mit 14.250 Zuschauern, während schwächere Gegner wie Verl vor nur 1.725 Fans spielen. Die Mitgliederzahlen stagnieren, das Wachstum bleibt aus – zu groß ist die Konkurrenz im Münchner Raum. Dennoch engagiert sich der Verein sozial, pflegt das Image des sympathischen Ausbildungsvereins und bleibt für viele Fans ein Stück Heimat.
Während Hoeneß und Assauer die Schlagzeilen dominierten, ist Schwabl vor allem in der Region präsent. Social Media und PR werden genutzt, aber nicht perfektioniert. In den sozialen Medien ist Unterhaching ein Leichtgewicht: Rund 24.000 Follower auf Facebook und etwa 48.000 auf Instagram – damit spielt man in der digitalen Regionalliga. Große Kampagnen oder innovative Social-Media-Formate sucht man vergeblich, die Interaktion mit den Fans ist minimalistisch. Der Markenwert von Unterhaching bleibt überschaubar, Merchandising ist ein Zubrot, kein Goldesel. Sponsoren schätzen die Bodenständigkeit, aber die großen Verträge bleiben anderen vorbehalten.
Manni Schwabl ist das, was man im Märchen einen guten, manchmal naiven König nennen würde: nahbar, kämpferisch, manchmal eigensinnig, aber immer mit dem Herzen bei seinem Verein. In einer Welt, in der Fußballmanager zu anonymen Funktionären werden, bleibt er ein Relikt – und vielleicht gerade deshalb so wichtig für Unterhaching. Er stemmt sich mit aller Kraft gegen das Verschwinden des Vereins in der Bedeutungslosigkeit, auch wenn der sportliche und wirtschaftliche Gegenwind rauer wird. Ob Schwabl am Ende als Sonnenkönig abtritt, der als Kapitän sein Schiff am Eisberg vorbei manövriert, ist offen. Sicher ist nur: Einen wie ihn wird es so schnell nicht wieder geben. Manche nennen es verrückt leidenschaftlich, andere leidenschaftlich verrückt.
Und so bleibt Unterhaching in den kommenden Wochen vor allem eines: eine Mannschaft, die weiterspielt, während um sie herum das Fundament wankt. Wie die Kapelle auf der Titanic stemmen sie sich dem Unausweichlichen entgegen – nicht aus Naivität, sondern aus Haltung.
Denn manchmal ist es nicht der Sieg, der zählt, sondern die Würde im Untergang. Die letzten Takte mögen leise sein, aber sie sind aufrecht gespielt. Und jedem Karfreitag ist eine Auferstehung gewiss, doch unsere nicht mehr heuer.
Wir lesen uns bald wieder!
Auf geht‘s Haching!